Der Leistungsfall in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist selten ein rein formaler Vorgang – vor allem dann nicht, wenn es sich um Selbstständige handelt. Ein aktueller Fall aus unserer Beratung zeigt exemplarisch, wie vielschichtig solche Verfahren sind – und wie wichtig es ist, die richtigen Informationen vollständig und strukturiert zur Verfügung zu stellen. Denn anders als viele Versicherte annehmen, gilt in der Berufsunfähigkeitsversicherung: Die Beweislast liegt beim Versicherten.
Ausgangslage: Ein erfahrener Facharzt steht vor dem gesundheitlichen Aus
Unser Mandant, Herr Dr. A., war über viele Jahre als niedergelassener Facharzt für Allgemein- und Palliativmedizin tätig. Seine Praxis führte er bereits seit 1998 in eigener Verantwortung mit mehreren Mitarbeitern. Das Leistungsspektrum war breit: klassische hausärztliche Versorgung, palliativ medizinische Betreuung, Heimbesuche, Bereitschaftsdienste, Koordination von Behandlungen mit Fachkollegen – bei durchschnittlich 700–900 Patientenkontakten pro Quartal. Auch administrative Aufgaben, wie Abrechnung, Buchhaltung und Mitarbeiterführung, gehörten zu seinem Arbeitsalltag.
Mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 56 Stunden, verteilt auf fünf Tage, und regelmäßigen Fortbildungen sowie Notdiensten über die Kassenärztliche Vereinigung, war sein Arbeitspensum enorm.
Psychische Erkrankung mit langer Vorgeschichte
Schon seit vielen Jahren litt Herr Dr. A. unter wiederkehrenden depressiven Episoden. Erste Symptome traten 2007 auf, eine gesicherte Diagnose folgte 2009. Über die Jahre versuchte er, seine Tätigkeit durch Reduktion von Bereitschaftsdiensten und palliativ medizinischen Leistungen an seine Belastbarkeit anzupassen. Trotz mehrfacher ambulanter Therapien verschlechterte sich sein Zustand weiter. Im Herbst 2019 kam es zu einem Zusammenbruch, der eine stationäre Behandlung erforderlich machte.
Im weiteren Verlauf wurde zusätzlich ADHS in Kombination mit einer Autismus-Spektrum-Störung vom Asperger-Typ diagnostiziert. Diese Kombination führte bei Herrn Dr. A. zu einer massiven Einschränkung seiner Konzentrations- und Belastungsfähigkeit, zu Kommunikationsproblemen sowie einer chronischen Überforderung im Arbeitsalltag – insbesondere in stressreichen, emotional anspruchsvollen Situationen, wie sie im ärztlichen Berufsbild regelmäßig auftreten.
Aufgabe der Praxis und Neuausrichtung
Aufgrund seines gesundheitlichen Zustands und fortschreitender Verschlechterung hat sich Herr Dr. A. zu dem Schritt entschieden, seine Tätigkeit als Arzt vorerst niederzulegen. Eigenverantwortlich und auf eigene Kosten kümmerte er sich um eine Praxisvertretung, die vorerst die Praxis weiterführte und seine Tätigkeiten vollumfänglich übernahm. Herr Dr. A. hoffte auf eine Übernahme bzw. den Verkauf seiner Praxis, was leider erfolglos blieb. Somit war eine dauerhafte Praxisübergabe an einen potenziellen Nachfolger nicht möglich. Schweren Herzens und auf Empfehlung seiner Behandler, entschied sich Herr Dr. A. letztendlich dazu, seine Praxis aufzugeben und endgültig zum 31.12.2020 zu schließen und gab zudem seine Zulassung als kassenärztlicher niedergelassener Arzt aufgrund seiner gesundheitlichen Beschwerden ab.
Herr Dr. A. wollte unbedingt wieder einen Mehrwert für die Gesellschaft bieten und eine neue Aufgabe finden. Trotz gesundheitlicher Einschränkungen fand Herr Dr. A. im Jahr 2021 eine neue Tätigkeit in Teilzeit und ist seither als Amtsarzt im öffentlichen Dienst beruflich tätig. Diese neue Tätigkeit unterscheidet sich deutlich in allen prägenden Merkmalen von seiner früheren Berufsausübung: keine Patientenkontakte, keine Personalverantwortung, keine Bereitschaftsdienste, keine Führungsverantwortung, geringere zeitliche Belastung und feste Arbeitszeiten in Teilzeit. Auch die gesellschaftliche Wertschätzung ist eine andere. Es handelt sich daher nicht um eine sogenannte Verweisungstätigkeit im Sinne der BU-Bedingungen.
Herausforderung: Der Nachweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit
Obwohl der gesundheitliche Zustand von Herrn Dr. A. schwerwiegend und eindeutig dokumentiert war, wäre ein erfolgreicher Leistungsantrag ohne professionelle Unterstützung kaum möglich gewesen. Denn: Die Berufsunfähigkeit muss anhand der konkreten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit nachgewiesen werden – in all ihren prägenden Merkmalen.
Das bedeutet für den Versicherten:
- Detaillierte Beschreibung der eigenen Berufsausübung in gesunden Tagen
- Quantifizierung von Zeitanteilen, Aufgaben und Verantwortungen
- Medizinische Darlegung der Einschränkungen in Bezug auf genau diese Tätigkeiten
- Prüfung, ob eine Umorganisation oder Verweisung möglich ist
Versicherer fordern in solchen Fällen nicht automatisch alle Informationen ein. Vielmehr liegt es am Versicherten, vollständige, nachvollziehbare und widerspruchsfreie Angaben zu machen. Die Beweislast für die Berufsunfähigkeit liegt ausschließlich beim Versicherten – zusätzlich zur ohnehin belastenden gesundheitlichen Situation.
Unsere Unterstützung: Fachliche Expertise entlastet spürbar
Im Fall von Dr. A. konnten wir durch strukturierte Beratung und fundierte Aufbereitung aller relevanten Informationen den BU-Leistungsfall erfolgreich begleiten. Gemeinsam mit ihm wurden Berufsausübung, Krankheitsbild und Leistungsentwicklung lückenlos dokumentiert. Die Berufsunfähigkeit ab November 2019 wurde anerkannt – bis heute besteht sie weiter.
Unsere Begleitung hat dabei nicht nur den Unterschied in der Beurteilung ausgemacht – sie war auch eine enorme emotionale Entlastung in einer ohnehin schwierigen Lebensphase.