Wollte man eine Schlagzeile provozieren, dann könnte man schreiben, dass es bis heute noch keinen einzigen Leistungsfall wegen Long-COVID in der Berufsunfähigkeitsversicherung gegeben hat. Das liegt aber schlicht und ergreifend daran, dass Long-COVID definiert ist als gesundheitliche Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase einer SARS-CoV-2-Infektion von 4 Wochen fortbestehen oder neu auftreten.

Wenn die Beschwerden länger als 12 Wochen bestehen, spricht man nicht mehr von Long-, sondern von Post-COVID. Und da der Prognosezeitraum in der Berufsunfähigkeitsversicherung bei 6 Monaten liegt, muss jeder Fall mit Post-COVID und nicht mit Long-COVID zu tun haben.

Post-COVID liegt aber auch nur dann vor, wenn der entsprechende Facharzt keine andere Erklärung für die Einschränkung findet. Und das macht den Leistungsfall besonders komplex, aber eben auch spannend, weil wir und auch die Leistungsfallbearbeiter auf der Seite der Versicherer noch viel lernen müssen.

Unser erster Leistungsfall mit Post-COVID

Unser erster Fall war eine Arbeiterin im Warenein- und -ausgang, rein körperliche Arbeit, inkl. dem Heben und Tragen von Gewichten von 30-40 kg den ganzen Tag. Es ging knapp 850 Euro monatliche Rente. Die COVID-Infektion war im März 2021 und Ende April wurde Post-COVID diagnostiziert.

Die Beschwerden waren ein chronisches Schmerzsyndrom, Kribbeln in Armen und Händen, Fatique-Syndrom und Konzentrationsschwäche. Depression und Angst kamen dann auch noch, was durchaus verständlich ist, wenn der Körper plötzlich derart in Mitleidenschaft gezogen wird.

Arthrose in den Fingern und Probleme mit der Wirbelsäule bestanden schon vorher. Das hatte also nichts mit Post-COVID zu tun.

Von Februar bis März 2022 war unsere Mandantin in Reha, was für gewöhnlich für uns im Leistungsfall hilfreich ist, da im Entlassbericht eingeschätzt werden muss, inwieweit die Einschränkungen weiter bestehen.

In diesem Fall war der Bericht aber widersprüchlich, da einerseits z.B. bei der Beurteilung der psychischen Leistungsfähigkeit bei Beginn der Reha und der Entlassung extrem schlechte Werte festgestellt wurden, aber auf der anderen Seite behauptet wurde, die Patientin könne dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch über 6 Stunden zur Verfügung stehen.

Allerdings hat dieser Abschlussbericht eine bestehende Arbeitsunfähigkeit bestätigt, weshalb jetzt die Krankenkassen über den Medizinischen Dienst geprüft haben, ob immer noch eine vorübergehende AU vorliegt.

Und in diesem Bericht hat der MDK dem Abschlussbericht widersprochen und sah die Erwerbsfähigkeit unserer Mandantin als erheblich gefährdet an.

50% Berufsunfähig bei einer 72%-Stelle?

Außerdem hat der behandelnde Neurologe in seinem Bericht geschrieben, dass sich zwar die psychische Verfassung gebessert habe, aber wegen der einschränkenden Schmerzen könne sie der bisherigen Tätigkeit nicht mehr im vollen Umfang nachgehen. Und diese Einschränkung bezifferte der Neurologe mit mindestens 50%. Und mehr braucht es nicht für 100% Leistung aus der BU-Versicherung.

Dazu sorgte der Arbeitgeber noch für ein Happy-End. Denn er reduzierte die Arbeitszeit auf 72%. Und da er eine zusätzliche Arbeitskraft einstellte, als sich abzeichnete, dass unsere Mandantin nicht mehr voll arbeiten kann, darf sie jetzt praktisch frei wählen, wo und wie lange sie arbeitet und wann sie wegen der Schmerzen eine Pause einlegen muss.

Allerdings stellt sich hier die Frage, ob es jetzt die Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geben darf, wenn die Mandantin 72% der alten Arbeitszeit arbeiten kann.

Hierbei darf man aber nicht übersehen, dass die 50% BU auf die alte Arbeitsstelle zu beziehen ist. Und hier ist sie nach wie vor zu mehr als 50% eingeschränkt. Dass die neue Arbeitsstelle der alten ähnlich ist, ist so oder so nur durch das übermäßige Entgegenkommen des Arbeitsgebers zustande gekommen und ist ohne jeden Rechtsanspruch. Der Versicherer dürfte auf die neue Arbeitsstelle also nur konkret verweisen.

Um das zu schaffen, müsste die Mandantin im neuen Job etwa das gleiche Einkommen beziehen, weder über- noch unterfordert sein und das gleiche Ansehen genießen. Und deshalb scheitert die konkrete Verweisung hier schon deutlich am Einkommen. Denn 72% des alten Einkommens sind nicht etwa das gleiche Einkommen.

Und als wir all das dem Versicherer ordentlich aufbereitet haben, hat er auch anstandslos und rückwirkend anerkannt.

Wenn ihr Hilfe in einem Fall braucht, dann meldet euch bei uns! Vermittler melden sich hier 🙂